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Luggi und das Land der 1000 Namen

Oder: Wie der Vinschgau in die Waschmaschine fiel und als "Venusta" rauskam

 

Im Dachstuhl des Reschnerhofs, wo sich Spinnweben mit Lokalpatriotismus paaren und der Wind Geschichten erzählt, wohnt er: Luggi der Lügner. Hausgeist. Dauerkommentator. Und selbsternannter Verteidiger des echten Vinschgaus.

 

Es war einer dieser Tage, an denen selbst der Reschensee nicht wusste, ob er spiegelglatt oder leicht beleidigt dreinschauen sollte. Im Reschnerhof duftete es nach Zimt, Espresso und einem Hauch von Verwunderung. Luggi, der hauseigene Geist mit Hang zum Übertreiben, glitt wie jeden Tag durch die Zirmstube – stets auf der Suche nach Sinn, Unsinn oder wenigstens einem frischen Gerücht.

 

Da! Ein raschelndes Papier auf dem Rezeptionstisch:
„Willkommen in Venusta – Das neue Gesicht des Tales“

Luggi erstarrte. Venusta?
„Was isch’n jetz des? A Waschmittel? A Spa? Oder die neue Bezeichnung für Vinschgau nach’m Rebranding durch die römische Götterabteilung?!“

 

Sofort begann Luggi seine Recherchen. Und wie es sich für einen ordentlich unsterblichen Hausgeist gehört, beamte er sich direkt in die Marketing-Akademie zur Heiligen ROI (Return on Imagination).

Dort versammelten sich Tourismusexperten in Leinenhemden, Baristas aus Berlin-Mitte und ein Ethnologe mit Doppeldiplom in Nachhaltigkeit und Duftkerzen. Auf der Tafel stand in großen Lettern:

 

„Venusta – Mehr als ein Tal. Ein Gefühl.“

 

Ein Gefühl? Luggi schnaubte. „Jo, a Gefühl im Magen krieg i a, wenn i zu viel Märchensuppe trink!“

 

Es folgte eine Präsentation:
„Venusta ist genderneutral, ethnisch entkernt, phonetisch weichgespült und erinnert an die edle Aura der römischen Venus. Ideal für den Export auf internationale Märkte, wo niemand weiß, wo Vinschgau liegt, aber jeder was mit ‘Venusta – The Valley of Inner Wellness’ anfangen kann.“

Luggi fiel fast aus seiner Wolke.

 

Dann meldete sich ein junger Mann mit Hipsterbrille:
„Wir mussten weg von ‘Vinschgau’ – zu deutsch, zu hart, zu wenig Instagram. 'Venosta' war zu italienisch. Aber Venusta – das ist neutral, unpolitisch, smooth. Das kauft sich gut.“

 

Und plötzlich war es, als würden sich die alten Räter im Grab umdrehen. Luggi hörte sie wispern:
„Wir haben damals Dörfer gebaut, Kanäle gegraben, die Römer geärgert – und jetzt sollen wir Maskottchen werden für ein Markenuniversum mit Duftkonzept?“

 

Zurück im Reschnerhof holte Luggi tief Luft. Er trat vor die imaginäre Gästerunde in der Zirmstube und sprach mit weiser Stimme:

„Meine Lieben, willkommen in Venusta – dem einzigen Tal, das gleichzeitig ein Berg, ein Gefühl, ein Hashtag und eine Schönheitskur sein will. Wo Wurzeln stören, Dialekte ausgebügelt und Regionen neu etikettiert werden – alles für die Marke.
Aber keine Sorge: Hier im Reschnerhof kocht noch der Chef, red’t die Chefin tirolerisch, und wenn der Zirbengeruch zu künstlich wird, schick i a Geisterhauch von echter Heimat durch die Stube.“

Dann grinste er schief, nahm ein (imaginäres) Gläschen Enzian zur Hand und prostete den Gästen zu:
„Auf den Vinschgau, das Original. Und auf Venusta, die Designer-Edition mit Soft-Touch und Hochglanzetikett. Beides hat seinen Reiz – aber nur eines hat Geschmack.“

 


 

Fazit?
Wenn selbst die Namen schon gebügelt werden, bleibt Luggi lieber im zerknitterten Leinenhemd sitzen – irgendwo zwischen Zirmstube und Zeitgeist – und kommentiert, was passiert, wenn Marketing auf Mythos trifft.
Denn manchmal braucht’s kein neues Wort – sondern einfach a bissl weniger heiße Luft.